Wenn sich aus einem Ohrgeräusch ein anhaltendes Leiden entwickelt hat, kann Ihnen die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) den Weg zurück zu einem lebenswerten Leben weisen. Seit Langem ist dieses vielseitige, lösungsorientierte Verfahren erste Wahl bei weit verbreiteten seelischen Problemen wie Depressionen und Angstzuständen. Mit speziell auf Tinnitus-Betroffene zugeschnittenen Maßnahmen gilt die KVT heute auch bei Ohrgeräuschen als hilfreichste Therapie, an Kliniken ebenso wie in der Selbsthilfe. Wir zeigen Ihnen, wie auch Sie davon profitieren.
Wie Kognitive Verhaltenstherapie bei Tinnitus hilft
In Reaktion auf den störenden, beunruhigenden Tinnitus entstehen schnell negative Gedanken (Sorgen, Grübeln, „Katastrophisieren“, Selbstvorwürfe usw.), belastende Gefühle (Angst, Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit, Ärger usw.) sowie schädliche Verhaltensweisen wie sozialer Rückzug.
All dies ist absolut menschlich und verständlich, aber leider auch völlig kontraproduktiv. Denn auf diese Weise wird der Tinnitus im Gehirn umso mehr etwas sehr Wichtiges, Bedrohliches und Störendes verankert – weshalb man ihm zwangsläufig umso mehr Aufmerksamkeit widmet. Schließlich dürfen wir etwas Wichtiges und Bedrohliches nicht aus dem (Hör-)Sinn verlieren. So hat es die Natur eingerichtet.
Dadurch entspinnt sich leider schnell ein Teufelskreis, der das Tinnitus-Leiden aufrechterhält oder gar verstärkt.
Die Kognitive Verhaltenstherapie bietet Ihnen hier einen verlässlichen Ausweg. Denn mit ihrer Hilfe können Sie negative Gedanken, belastende Gefühle und schädliche Verhaltensweisen rund um den Tinnitus erkennen und dann ganz gezielt abbauen bzw. entschärfen.
Das Ziel: die Belastung auflösen
Dies trägt maßgeblich dazu bei, dass der jetzt noch störende, viel beachtete Tinnitus zunehmend zu einem unwichtigen Reiz wird, der in den Hintergrund rückt und von den Hörfiltern ausgeblendet wird.
Denn auch dies hat die Natur eingerichtet: Unwichtige, ungefährliche Geräusche werden vom Gehirn „weggefiltert“, sodass wir sie nicht mehr oder kaum noch bewusst wahrnehmen (z.B. das eigene Atmen, ein neuer Kühlschrank, das Rauschen der Heizung, normale Verkehrsgeräusche, die gewöhnliche Geräuschkulisse am Arbeitsplatz u.v.m.). So können wir uns auf Wichtigeres konzentrieren.
Dieses Phänomen – das wir in der Therapie Habituation nennen – will auch bei Ohrgeräuschen greifen. Und zwar völlig unabhängig davon, was den Tinnitus ursprünglich verursacht hat.
Der ganz natürliche Vorgang der Habituation ist auch der (einzige) Grund dafür, dass Studien zufolge die meisten Menschen, die einen Tinnitus haben, gar nicht darunter leiden.
Wenn sich jedoch eine Negativspirale entwickelt, in der sich eine körperliche und psychische „Alarmreaktion“ auf den Tinnitus, eine übermäßige Aufmerksamkeit für das Geräusch und ungünstige Verhaltensweisen immerfort aufrechterhalten, ist der rettende Vorgang des Unwichtigwerdens und Überhörens blockiert.
Ihr Glück im Unglück ist, dass es bei einem Tinnitus-Leiden Leiden bewährte Wege gibt, um diese Blockade aufzubrechen, allen voran die Kognitive Verhaltenstherapie.
Am Ende stört das Ohrgeräusch in der Regel weitaus weniger, meist nur noch unwesentlich oder gar nicht mehr. Das hat zur Folge, dass Sie den Tinnitus im Alltag weitgehend (oder sogar ganz) überhören und sich von dem nun belanglosen Geräusch nicht mehr nennenswert beeinträchtigt fühlen.
So lässt sich dann mit einem Tinnitus sehr gut leben.
In jedem Fall ein sinnvoller Weg
Auch und gerade wenn Sie den Tinnitus unbedingt „weghaben“ möchten, ist die Kognitive Verhaltenstherapie der richtige Weg. Und zwar, weil Sie Ihnen aufzeigt, warum eine solche Haltung maximal kontraproduktiv ist:
Wer einen seit längerer Zeit bestehenden Tinnitus mit aller Macht zum Abklingen bringen möchte, fortwährend gegen das Geräusch ankämpft, immer wieder neue sinnlose Behandlungen ausprobiert und sich ständig mit dem Thema Tinnitus beschäftigt, erreicht damit das genaue Gegenteil:
Der Tinnitus verfestigt sich nur umso mehr, die Habituation wird stark gebremst oder blockiert, die Belastung bleibt bestehen.
Wenn ein länger bestehender Tinnitus dagegen „verblasst“ oder sogar ganz abklingt, dann geschieht dies in den allermeisten Fällen im Zuge einer fortschreitenden Habituation!
Das heißt: Indem Sie mit Hilfe der KVT ein Unwichtigwerden und Überhören des Ohrgeräusches befördern, verabschieden Sie sich gerade nicht von der Möglichkeit eines Verschwindens oder Verblassens. Die KVT zielt zwar nicht darauf, doch als Nebeneffekt ist ein Abklingen durchaus möglich – während Sie dieses mit den bisherigen schädlichen Denk- und Verhaltensweisen eher verunmöglichen.
Kognitive Verhaltenstherapie: einfach hilfreich
Die in den 1970er Jahren entstandene Kognitive Verhaltenstherapie ist kein einheitliches Verfahren, sondern eine psychotherapeutische Grundströmung, die eine Vielzahl von Techniken und Maßnahmen einschließt.
Ausgangspunkt ist die Erkenntnis,
- dass Gedanken, Gefühle und Verhalten in wechselseitigem Einfluss eng miteinander verbunden sind und gemeinsam psychische Leiden hervorrufen können
- dass Denken, Fühlen und Verhalten erlernt wurden und grundsätzlich jederzeit neu erlernt bzw. „umgelernt“ werden können.
Viele Beschwerden und Erkrankungen lassen sich heilen oder zumindest auf ein gut handhabbares Maß lindern, indem man belastende, Leiden verursachende Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen verändert.
Die enorme Wirksamkeit der KVT bei vielen weit verbreiteten psychischen Beschwerden ist durch unzählige Studien klar belegt, etwa bei Depressionen, Angststörungen, Burnout, Schlafstörungen, Belastungsstörungen, Anpassungsstörungen – und bei Tinnitus.
Dementsprechend wird die KVT in den aktuellen „Tinnitus-Leitlinien“ in Deutschland (S3-Leitlinie Chronischer Tinnitus), Europa und den USA ausdrücklich als wirksamste Therapie empfohlen.
Ungeachtet ihres großen Erfolgs wird die Kognitive Verhaltenstherapie stetig weiterentwickelt. So entstanden seit den 2000er Jahren (in der sogenannten „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie ) äußerst hilfreiche neue Ansätze wie die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) oder die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (MBCT).
Dies schlägt sich auch in der Tinnitus-Therapie nieder: Noch in den 1990er Jahren konzentrierte sich die KVT bei Tinnitus vor allem auf das Identifizieren und Verändern negativer Gedanken (die sogenannte kognitive Umstrukturierung) sowie auf Entspannungstechniken.
Die moderne KVT bei Tinnitus integriert dagegen vermehrt Achtsamkeit und Akzeptanz, um Tinnitus-Betroffenen zu helfen, das Geräusch anzunehmen, statt dagegen anzukämpfen. Zugleich liegt der Fokus viel stärker auf der Entwicklung hilfreicher Verhaltensweisen als auf rein kognitiven Strategien. Dieser zeitgemäße „multimodale“ – also auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig wirksame – Ansatz hat sich als besonders hilfreich erwiesen, um die heilsame Habituation des Tinnitus zu fördern.
So hilft Ihnen die KVT bei Tinnitus
Im Folgenden stellen wir Ihnen zwölf zentrale Strategien einer Kognitiven Verhaltenstherapie bei Tinnitus vor.
Im konkreten Fall – jetzt in Ihrem – müssen längst nicht alle diese Strategien auch genutzt werden. Nicht jede Methode passt für jeden – aber die Vielfalt der KVT-Strategien ermöglicht es, für jeden Betroffenen hilfreiche Ansätze zu finden.
In einer professionellen Einzeltherapie wird für jeden Tinnitus-Betroffenen ein individuelles Set aus diesen Strategien zusammengestellt (und mit wiederum individuell ausgesuchten Techniken praktisch umgesetzt.
In Gruppen-Therapien und in der Selbsthilfe sind die Strategien als Angebote zu verstehen, aus denen sich jeder Betroffene diejenigen aussucht, die am besten zu seiner Situation, seinen Bedürfnissen und Vorlieben passen.
Generell gilt: Sie müssen längst nicht alles, was möglich ist, auch machen. Und nichts von dem, was Sie wählen, müssen Sie „perfekt“ machen. Häufig genügen schon zwei bis drei Strategien, wenn sie halbwegs konsequent über längere Zeit umgesetzt werden.
Diese kognitiv-verhaltenstherapeutischen Strategien haben sich bei Tinnitus-Leiden vielfach bewährt:
1. Aufklärung („Psychoedukation“)
Diese Maßnahme ist das unerlässliche Fundament: Ihnen wird verständlich gemacht, wie Tinnitus entsteht, wie daraus ein Leiden geworden ist und wie Sie dieses Leiden systematisch abbauen können. So wird die Tinnitus-Problematik für Sie begreifbar und handhabbar.
Meist verliert der Tinnitus dadurch schon viel von seinem Schrecken, Unsicherheiten und Ängste lassen merklich nach. Die Einsicht in Ihre – ganz realistische – positive Perspektive schafft zugleich Motivation zur Therapie bzw. Selbsthilfe.
2. Klangtherapie
Die Klangtherapie wurde ursprünglich aus der (ebenfalls sehr erfolgreichen) Tinnitus-Retraining-Therapie übernommen, die im deutschsprachigen Raum bereits seit der Jahrtausendwende mit der Kognitiven Verhaltenstherapie kombiniert wird.
Als Maßnahme der „systematischen Desensibilisierung“ bzw. „gestuften Konfrontation“ fügt sich die Klangtherapie ideal in eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Tinnitus-Therapie bzw. Selbsthilfe ein. In der Praxis ist die Klangtherapie – neben der Aufklärung – diejenige Einzelmaßnahme, die den meisten Betroffenen die schnellsten und größten Fortschritte bringt, zumal sie ganz beiläufig und anstrengungslos umzusetzen ist und keinerlei Lernen oder Können voraussetzt.
Indem Sie Stille weitgehend meiden und sich ein dezentes „Hintergrundrauschen“ mit angenehm-neutralen Klängen (Naturgeräusche oder „weißes Rauschen“) verschaffen, schwächt sich die körperliche und emotionale „Alarmreaktion“ auf den Tinnitus allmählich ab. Das befördert die Habituation enorm.
Ganz wichtig ist, dass man den Tinnitus während der therapeutischen „Klanganreicherung“ noch deutlich wahrnehmen kann.
Würde man das Ohrgeräusch ganz verdecken, wäre dies ein Vermeidungsverhalten (s.u.), das die Belastung durch die Tinnitus-Wahrnehmung nur für den Moment lindert, langfristig aber aufrechterhält oder gar verschlimmert.
3. Abbau von Ängsten und Grübeleien
Mit Hilfe der KVT können Sie belastende, allzu negative Gedanken und Bewertungen rund um den Tinnitus und seine vermeintlichen Auswirkungen identifizieren, hinterfragen und ganz gezielt abbauen. Dabei geht es nicht um „positives Denken“, sondern lediglich darum, nicht unnötig negativ oder übertrieben pessimistisch zu denken und gerade damit eine Besserung zu blockieren.
Oft ist der Umgang mit dem Ohrgeräusch zum Beispiel durch wenig hilfreiche Denkmuster wie „Schwarz-Weiß-Denken“, „Katastrophisieren“ oder einer Einengung auf das Negative geprägt.
Wer dann seine Zukunft immerfort schwarzmalt und sich vor dieser – ganz und gar unrealistischen – Projektion ängstigt, verankert das eigentlich völlig harmlose Tinnitus-Geräusch im Gehirn immer mehr als etwas geradezu „Lebensbedrohliches“. Das zieht zwangsläufig belastende Gefühle wie Niedergeschlagenheit, Angst, Frustration oder Hoffnungslosigkeit nach sich – und umso mehr Aufmerksamkeit auf den Tinnitus.
Belastende Gedanken sprießen meist – ganz automatisch und immer wieder aufs Neue – aus negativen Überzeugungen, zum Beispiel: „Wegen des Tinnitus ist mein Leben ruiniert.“ – „Ich werde nie wieder etwas genießen können.“ – „Der Tinnitus muss unbedingt weg, sonst kann ich nicht mehr glücklich sein.“
Indem Sie Abstand zu den belastenden „Vorschlägen“ Ihres Verstandes gewinnen und stattdessen hilfreichere und realistischere Gedanken und Bewertungen entwickeln, verschaffen Sie sich eine spürbare „psychische Entspannung“. Und das ist Wasser auf die Mühlen der Habituation.
4. Aktivierung (Rückzug überwinden)
Ein Tinnitus-Leiden führt – ganz ähnlich wie eine Depression – oft zu einem Rückzug. Man fühlt sich krank und wartet, wie man es von Kindheit an gelernt hat, daheim auf Besserung. Man empfindet kaum Freude, glaubt, ohnehin nichts so recht „genießen“ zu können, und macht dann lieber gar nichts.
Man will andere nicht mit seiner gedrückten Stimmung „belasten“ und trifft sich lieber nicht mit Freunden und Bekannten. Man hat wenig Antrieb und Motivation – und kann sich dann einfach nicht aufraffen. Vielleicht liegt man auch der – völlig unbegründeten – Angst auf, etwas lautere Alltagsgeräusche, z.B. bei einem Restaurantbesuch, könnten das Gehör schädigen und den Tinnitus verschlimmern, sodass man Aktivitäten in geräuschvollen Umgebungen möglichst vermeidet.
All dies ist zwar nachvollziehbar, aber leider auch extrem kontraproduktiv. Denn Rückzug führt immer nur tiefer ins Leiden und niemals heraus.
Die kognitiv-verhaltenstherapeutische Strategie der Aktivierung hilft Ihnen dabei, aufgegebene Aktivitäten, die Ihnen früher Freude bereitet haben, wieder aufzunehmen. Angenehme und sinnvolle Beschäftigungen (ein interessantes Hobby, soziale Kontakte, Sport usw.) werden Schritt für Schritt wieder in den Alltag integriert.
Das macht nicht sofort alles gut, aber verlagert mittelfristig den Fokus weg vom Tinnitus, ermöglicht Ihnen positive Erlebnisse, hebt Ihre Stimmung und dämpft das Grübeln.
Und Ihr Unterbewusstsein lernt allmählich, dass entgegen aller Befürchtungen ein erfülltes, abwechslungsreiches Leben trotz Tinnitus gut möglich ist – was die Bedeutung des Geräusches stark relativiert.
5. Stressabbau und Entspannung
Stress und innere Anspannung verstärken die Tinnitus-Wahrnehmung . In einem entspannteren Zustand dagegen empfinden Sie den Tinnitus als leiser und weniger störend – und die Habituation läuft viel schneller ab.
Das Erlernen von Fähigkeiten zum Stressabbau und zur Entspannung ist daher ein wichtiger Bestandteil der KVT bei Tinnitus.
Mit einer leicht erlernbaren Entspannungsmethode – wahlweise Atemübungen (tiefes Bauchatmen), Progressive Muskelentspannung (PMR), Autogenes Training oder Yoga – beruhigen Sie Körper und Geist.
Mindestens ebenso hilfreich und daher eine echte Alternative zu klassischen Entspannungsübungen sind angenehme, entspannende oder gesellige Aktivitäten im Alltag, die Ihr Wohlbefinden steigern – zum Beispiel: Saunabesuch, Spaziergänge, Ausflüge, Treffen und Unternehmungen mit Freunden, Hobbys.
Auch regelmäßiger Sport wirkt entspannend, indem er Ihren Stresspegel senkt und Sie erheblich stressresistenter macht. Daher ist Sport (der laut Studien bei Depressionen mitunter besser hilft als starke Psychopharmaka) auch bei einem Tinnitus-Leiden eine hervorragende, weithin unterschätzte Genesungsstrategie.
Bei Bedarf können Sie außerdem lernen, wie Sie mit Stress im Alltag gesünder umgehen und Belastungen besser bewältigen.
6. Aufmerksamkeitslenkung
Je mehr Sie auf den Tinnitus fokussieren, desto lauter und störender wirkt er. Die KVT hilft Ihnen, Ihre Aufmerksamkeit umzulenken – weg vom Tinnitus, hin zur übrigen Sinneswahrnehmung, zu den gerade anliegenden Tätigkeiten, zu Wichtigerem, Schönerem, Interessanterem.
Dabei geht es nicht um eine „Flucht“ vor der Tinnitus-Wahrnehmung, sondern darum, dass Sie dem Geräusch nicht unnötigerweise übermäßig viel Aufmerksamkeit widmen. Stattdessen lernen Sie, wie Sie sich ganz bewusst wieder vermehrt dem eigenen Leben und Erleben zuwenden – was spürbar entlastet.
7. Achtsamkeit fördern
Achtsamkeit bedeutet, den gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen, befreit von der gewohnten Verstrickung in die endlosen Bewertungen, Erinnerungen, Planungen und Zukunftsprojektionen unseres Verstandes.
Im Lauf unseres Lebens ist uns diese Verstrickung so sehr zum Normalzustand geworden, dass wir den eigentlich viel natürlicheren Zustand der Achtsamkeit erst wieder üben müssen. Im Grunde bedeutet Achtsamkeit aber gar kein Tun und Machen, sondern vielmehr ein Lassen – ein Loslassen, das Sie entlastet.
Mit Achtsamkeitsübungen lernen Sie, das Hier und Jetzt – all das, was jenseits des Ohrgeräusches noch ist – bewusst wahrzunehmen, ohne sich im Denken und Berurteilen zu verlieren.
Das achtsame Wahrnehmen kann sich dabei nicht nur auf äußere Reize, sondern auch auf innere Vorgänge erstrecken, etwa unsere vielfältigen Gefühle und Körperempfindungen. Und selbst die Gedanken, die uns unser Verstand unaufhörlich serviert, können wir ganz achtsam wahrnehmen und als das erkennen, was sie sind: Vorschläge, die wir annehmen können, mit denen wir uns aber nicht automatisch identifizieren müssen. Bei belastenden Gedanken und Sorgen macht das einen großen Unterschied.
Eine andere Facette der Achtsamkeits-Strategie sind spezielle „hörtherapeutische“ Übungen, mit denen Sie gezielt wieder angenehme Hörwahrnehmungen schaffen, nachdem der Tinnitus Ihnen das Hören verleidet hat.
8. Akzeptanz aufbauen
Gegen einen Tinnitus immerfort mit aller Macht ankämpfen zu wollen, ist ein verständlicher Impuls – aber leider extrem kontraproduktiv. Denn dadurch wird das Ohrgeräusch in Ihrem Gehirn unentwegt weiter als ein bedrohlicher Gegner verankert, der zwangsläufig umso mehr „belauscht“ werden muss – und umso mehr stört.
Der Widerstand – das Ankämpfen und „Unbedingt-Weghaben-Wollen“ – kostet enorm viel Kraft, vergrößert den Stress, verschlimmert die Belastung, begünstigt Depressionen und Angstzustände – und verfestigt den Tinnitus nur immer mehr!
Man bewirkt also das exakte Gegenteil dessen, was man eigentlich möchte, und zahlt dafür auch noch einen hohen Preis.
Mit wunderbaren Techniken, welche die moderne KVT aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) entlehnt, können Sie diesen kräftezehrenden, aussichtslosen Kampf überwinden. Indem Sie den Tinnitus – einstweilen – als Teil Ihres Lebens annehmen, schwindet die Alarmreaktion, Ihr Stresspegel sinkt – und das Ohrgeräusch wird zunehmend unwichtig.
Diese Form der aktiven Akzeptanz bedeutet daher keine Resignation oder Niederlage, sondern das genaue Gegenteil:
Während ein endloses Kämpfen (oder Flüchten) beim Tinnitus nur zu Niedergeschlagenheit und Frustration – und in die sichere Niederlage – führt, macht Akzeptanz Sie zum Gewinner. Zum Gewinner, der sich selbst befreit und der seine nun nicht mehr sinnlos vergeudete Energie positiv einsetzen kann, um sinnvolle Maßnahmen gegen das Tinnitus-Leiden zu unternehmen und ein erfülltes Leben zu Leben
9. Besser schlafen
Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen zählen zu den häufigsten Beschwerden bei einem Tinnitus-Leiden. Ohne die Ablenkungen des Tages ist der Tinnitus in der Stille der Nacht besonders präsent. Dadurch fällt auch die Stressreaktion stärker aus, oft zusätzlich befeuert durch Sorgen und Grübeleien.
Zum Schlafen muss der Mensch aber nicht nur ausreichend müde, sondern auch ausreichend entspannt sein. Im einem Zustand von Alarm und übermäßiger Wachsamkeit („Hypervigilanz“), von innerer Unruhe und Angst fehlt es natürlich an der erforderlichen Entspannung.
Mit diversen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Methoden lassen sich Schlafprobleme abbauen. Besser ausgeruht erleben Sie das Ohrgeräusch dann leiser und erträglicher, was zu einer insgesamt geringeren Belastung führt.
10. Schädliches Verhalten abbauen
Tinnitus-Betroffene legen häufig sehr ungünstige, das Leiden weiter befeuernde Verhaltensweisen an den Tag.
Dazu gehören – neben dem oben beschriebenen Rückzug – zum Beispiel: langwierige Krankschreibungen, „Ärzte-Hopping“, die andauernde Beschäftigung mit dem Thema Tinnitus, eine endlose Suche nach einem „Wundermittel“ bzw. immer neuen Behandlungsmöglichkeiten, andauerndes Beklagen der Situation oder ein (völlig unnötiger) Verzicht auf liebgewonnene Genussmittel wie Kaffee, Tee oder Alkohol.
Mithilfe der KVT können Sie schädliches Verhalten im Zusammenhang mit einem Tinnitus erkennen und gezielt abbauen.
Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem tückischen „Vermeidungsverhalten“. Dazu zählt auch der ständige Versuch, die Tinnitus-Wahrnehmung möglichst zu vermeiden oder zu verdrängen – durch eine akustische Maskierung oder die Flucht in einen „Beschäftigungs- und Ablenkungs-Aktionismus“.
Tückisch daran ist, dass dieses Verhalten zwar kurzfristig entlastet (und deshalb ständig wiederholt wird), aber mittel- und langfristig hochgradig kontraproduktiv ist. Denn das Vermeidungsverhalten behindert die Habituation (und damit eine nachhaltige Genesung) und hält das Leiden aufrecht.
Die KVT hilft, die hinter dem Vermeidungsverhalten stehenden Ängste abzuschwächen und das Verhalten schrittweise abzulegen. Eine maßvolle „Konfrontation“ (s.u.) schafft Erfolgserlebnisse („Ich kann es aushalten“) und Selbstvertrauen. Mit der Zeit wird das Leben nicht mehr von der einschränkenden und anstrengenden Vermeidung geprägt, was die Lebensqualität deutlich steigert.
11. Sich dem Tinnitus maßvoll aussetzen
Bei spezifischen Phobien (z.B. Höhenangst) wird heute in der Kognitiven Verhaltenstherapie häufig mit großem Erfolg ein sogenanntes „Flooding“ betrieben, die maximale „Konfrontation“ mit dem angstbesetzten Reiz.
Bei einem Tinnitus-Leiden ist eine allzu große Konfrontation aber kontraproduktiv, weil sie die Alarmreaktion und damit das Leiden tendenziell noch ausweitet. Es gibt hier in der Praxis keine „Habituation mit der Brechstange“! Im Gegenteil: Wollte man einen schnellen Habituationsfortschritt „mit Gewalt“ erzwingen, würde man das genau Gegenteil erreichen. Es gilt daher bei einem belastenden Tinnitus, behutsam ein gesundes, tolerierbares Maß zu finden und fortschreitend anzupassen.
Nehmen wir beispielsweise – als Teil des Vermeidungsverhaltens – die Angst vor äußerer Stille. Mit dem Schrecken der belastenden Alarmreaktion in den Knochen traut man sich kaum mehr in ruhige Räume. Gewohnte Beschäftigungen, etwa im stillen Wohnzimmer auf dem Sofa ein Buch lesen, scheinen unmöglich geworden – und man versucht es gar nicht mehr.
Im Zustand von akutem Alarm und übermäßiger Wachsamkeit wäre eine allzu große Konfrontation mit dem Ohrgeräusch in der Stille tatsächlich überfordernd und abschreckend. Hier ist eine abgemilderte Konfrontation durch eine richtig betriebene Klanganreicherung der bessere Weg.
Je mehr die Habituation dann aber voranschreitet, desto leichter fällt es, verloren geglaubtes Terrain zurückzuerobern. Die kognitive Verhaltenstherapie hilft dabei, sich ganz behutsam wieder Situationen auszusetzen, in denen der Tinnitus nicht durch akustische oder anderweitige Ablenkungen „entschärft“ wird.
Beispielsweise zehn Minuten in einem ganz stillen Raum zu sitzen und den Tinnitus wahrzunehmen, mag anfangs große Überwindung kosten. Richtig angeleitet, stellt man dabei aber in der Regel fest, dass die befürchtete Katastrophe ausbleibt, dass man das Geräusch und die belastende Stressreaktion aushalten kann. Mit der Zeit stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein, der die Habituation insgesamt befördert.
12. Sinnhafte Lebensgestaltung
„Normalität“ – sein gewohntes Leben weiterzuleben, mit all den freudvollen, sinnvollen oder schlicht notwendigen Tätigkeiten – befördert die Habituation.
Die Kognitive Verhaltenstherapie bei Tinnitus kann aber hier noch tiefer gehen und die Frage stellen: Was ist Ihnen wirklich wichtig im Leben?
Ungeachtet von Erwartungen und Anforderungen: Nach welchen „Werten“ oder Prioritäten möchten Sie, tief in Ihrem Inneren, gern leben? Wofür möchten Sie einmal erinnert werden?
Mit allerhand Methoden, die aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie entlehnt sind, können Sie dies herausfinden, sich auf neue Weise darüber klar werden. Wenn Sie Ihre wahren Prioritäten erkannt haben, können Ihnen diese zu einem „Leuchtturm“ werden, der Ihnen bei Wind und Wetter – und selbst im „Sturm“ der vorübergehenden Tinnitus-Belastung – Orientierung und Richtung gibt.
Ganz kurzfristig können Sie lernen, wie Sie schon heute und morgen bewusst ein wenig mehr das leben, was Ihnen wichtig ist, als derjenige leben, der Sie sein möchten – trotz Tinnitus. Aus ganz kleinen Veränderungen im Alltag kann längerfristig sogar ein neuer Lebensstil entstehen, der mit oder ohne Ohrgeräusch lebenswert ist.
Den Zusammenhang verstehen
Wenn Sie aufmerksam gelesen haben, haben Sie es vielleicht bemerkt: Die verschiedenen Strategien sind gar nicht so verschieden.
Abgesehen davon, dass sämtliche Strategien dieselbe Zielrichtung haben (nämlich das Unwichtigwerden und Überhören des Tinnitus zu fördern), greifen sie in der Praxis Hand in Hand ineinander und sind eher als verschiedene Facetten eines sinnvollen Genesungswegs zu verstehen.
Die Tinnitus-spezifische Kognitive Verhaltenstherapie ist daher für Betroffene im Kern einfach zu verstehen und auch relativ einfach umzusetzen. Jedenfalls, wenn dieser Ansatz nicht unnötig verkompliziert wird.
Zeitgemäße psychologische Problemlösung
Noch immer haben viele Menschen ja bei dem Begriff „Psychotherapie“ Klischees im Kopf, die durch Vorurteile oder filmisch verzerrte Darstellungen der klassischen Freud’schen Psychoanalyse geprägt wurden.
Die moderne Kognitive Verhaltenstherapie hat damit überhaupt nichts gemein, wie Ihnen unsere Beschreibung der Strategien für ein Genesen vom Tinnitus-Leiden sicher schon gezeigt hat.
Denn die KVT arbeitet …
- Aufklärend („psychoedukativ“): Die KVT klärt umfassend über die Ursachen und Zusammenhänge der jeweiligen Beschwerden auf. Der Klient wird so zum „Experten in eigener Sache“, kann seine Probleme verstehen und aktiv an ihrer Lösung oder Bewältigung arbeiten.
- Transparent: Der Behandlungsansatz und die verwendeten Techniken werden offen und nachvollziehbar erklärt.
- Problem- und lösungsorientiert: Im Mittelpunkt der KVT steht nicht die Beschäftigung mit der Vergangenheit, sondern die Lösung der aktuellen Probleme. Wenn es zur Lösung beiträgt, können die persönliche Lebensgeschichte, die tieferen Ursprünge belastender Denkmuster o.Ä. einbezogen werden. Alles zielt aber darauf, die aktuellen Beschwerden aufzulösen, praktische Strategien zur Problembewältigung zu entwickeln und die Lebensqualität im Hier und Jetzt zu steigern.
- Aktiv: Der Klient nimmt in der KVT eine aktive Rolle ein. Das heißt auch: Der Therapieerfolg basiert auf aktiver Mitwirkung. Dabei setzt die KVT maßgeblich auf „Hilfe zur Selbsthilfe“. Indem der Klient hilfreiche Maßnahmen im Alltag gezielt umsetzt und einübt, erlangt er Kontrolle zurück und erfährt seine Selbstwirksamkeit – denn er erreicht die Verbesserung letztlich Schritt für Schritt selbst.
- Zeitlich begrenzt: Die KVT will die individuellen Ziele üblicherweise möglichst kurzfristig, zumindest in einem überschaubaren Zeitrahmen erreichen.
- Evidenzbasiert: Die KVT basiert auf wissenschaftlicher Forschung und wird ständig durch Studien überprüft und angepasst.
Unterschiedliche seelische Leiden erfordern dabei immer eine ganz eigene Herangehensweise. Denn natürlich macht es einen großen Unterschied, ob z.B. ein Kindheitstrauma, eine spezifische Phobie (z.B. Angst vor Spinnen) oder ein ausgeprägtes Tinnitus-Leiden zu behandeln ist.
Daher wird innerhalb der Kognitiven Verhaltenstherapie für jedes Beschwerdebild eine ganz eigene Mischung von Maßnahmen genutzt: eben diejenigen, die am besten passen und sich als am hilfreichsten erwiesen haben.
Wo erhalte ich eine KVT bei Tinnitus?
Die Kognitive Verhaltenstherapie bei Tinnitus ist kein einheitlicher, irgendwie „normierter“ Ansatz. Wir haben Ihnen hier unseren zeitgemäßen, besonders effektiven Ansatz vorgestellt.
In der Praxis existieren aber auch viele andere Varianten. So verfolgen gerade viele ältere Psychotherapeuten noch immer einen längst veralteten „KVT bei Tinnitus“-Ansatz, bei dem kognitive Methoden überbetont und zentrale Strategien wie Aufklärung, Aktivierung, Achtsamkeit und Akzeptanz vernachlässigt werden.
„Bewältigung“ vs. „Habituation“?
Obendrein wird in Unkenntnis der neurophysiologischen Zusammenhänge häufig der Eindruck erweckt, es gehe bei einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen Tinnitus-Therapie gar nicht um eine weitreichende Habituation (und damit um ein Genesen vom Tinnitus-Leiden), sondern (nur) um ein „Zurechtkommen“, eine „Bewältigung“.
Wo immer aber die Habituation nicht ausdrücklich ins Zentrum der Therapie gestellt wird, ist Vorsicht geboten. Denn dies zeugt davon, dass die entsprechenden Ärzte oder Psychotherapeuten die Mechanismen des Tinnitus-Leidens (und der Genesung von diesem Leiden) nicht verstanden haben.
Abschreckend oder motivierend?
Gerade im deutschsprachigen Raum finden sich häufig auch überkomplizierte, unnötig umständliche, in Inhalt und Ansprache allzu „trockene“ und „bürokratische“ Umsetzungen einer KVT bei Tinnitus.
Das steht in krassem Gegensatz zur in der Sache viel ambitionierteren und in der Ansprache weitaus motivierenden Herangehensweise in den USA (wo ja seit den 60er Jahren ausnahmslos alle KVT-Ansätze – einschließlich der wegweisenden neuen Verfahren der „dritten Welle“ – entwickelt wurden).
In Deutschland ziehen es manche Therapeuten vor, lieber sämtliche Tinnitus-Betroffenen zu demotivieren als das Risiko einzugehen, auch nur bei einem einzigen Patienten zu hohe Erwartungen zu wecken. Natürlich ist dies in der Praxis oft eine Gratwanderung. Aber die Forschung hat klar erwiesen, dass der Erfolg einer Psychotherapie entscheidend davon abhängt, wie sehr ein Therapeut beim Klienten das Vertrauen in die Besserung des eigenen Zustands wecken kann.
Mit anderen Worten: Ein Psychotherapeut, der ständig signalisiert, dass er nicht viel bewirken kann und will, wird garantiert nicht viel bewirken.
Diese übervorsichtige, fast ängstliche Herangehensweise gipfelt in dem unglücklichen, nur im deutschsprachigen Raum verwendeten Begriff der „Tinnitus-Bewältigungs-Therapie“ (TBT). Damit wird hierzulande seit einigen Jahren die am weitesten verbreitete kognitiv-verhaltenstherapeutische Tinnitus-Therapie bezeichnet, die zuvor als „Tinnitus-Retraining-Therapie nach ADANO“ bekannt war.
Während der treffende Begriff des „Retrainings“ aber ein „Verlernen“ des Tinnitus-Leidens (durch ein gezieltes „Umlernen“ des Gehirns im Zuge des Lernvorgangs der Habituation) beschreibt, fällt der schwammige Begriff der „Bewältigung“ weit dahinter zurück. Wir verwenden ihn daher ganz bewusst nicht.
Es muss nicht optimal sein
Unsere kritischen Anmerkungen gründen sich auf die Beobachtung, dass die enorm hilfreiche Kognitive Verhaltenstherapie bei Tinnitus in der Praxis manchmal weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt.
Das soll Sie aber auf keinen Fall abschrecken, sondern nur ein wenig sensibilisieren für unterschiedliche Herangehensweisen innerhalb dieses Ansatzes.
Weder muss die Therapie „perfekt“ sein, noch brauchen Sie sie „perfekt“ umsetzen. Selbst eine bloß durchschnittlich hilfreiche Variante der „KVT bei Tinnitus“ wird Ihnen bei einem ausgeprägten Leiden wahrscheinlich eine spürbare, Ihre Lebensqualität deutlich steigernde Verbesserung verschaffen.
Folgende Möglichkeiten für eine Tinnitus-zentrierte kognitive Verhaltenstherapie stehen Ihnen offen:
1. Spezialisierte Tinnitus-Kliniken
Rund 30 Kliniken bieten in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine spezielle Tinnitus-Therapie an.
Ob als sogenannte akute „Krankenhausbehandlung“ oder als Reha-Maßnahme, ob stationär oder tagesklinisch: Die Behandlungsansätze sind immer psychosomatisch orientiert und setzen ganz wesentlich auf kognitiv-verhaltenstherapeutische Strategien.
In Frage kommt ein Klinikaufenthalt in erster Linie bei mittelgradigen bis schweren Tinnitus-Leiden oder bei erheblichen psychischen Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen . Bei eher geringer Tinnitus-Belastung – oder wenn die Belastung bereits deutlich abgenommen hat – ist davon abzuraten, um nicht unnötigerweise zusätzliche Aufmerksamkeit auf den Tinnitus zu lenken.
Generell kann der Aufenthalt in einer Tinnitus-Klinik (meist zwischen 3 bis 5 Wochen) viel bewegen und die Habituation spürbar anschieben, diese aber niemals vollenden. Daher
Alles Wissenswerte dazu erfahren Sie in unserem großen Tinnitus-Klinik-Kompass sowie in unserem Tinnitus-Reha-Ratgeber.
2. Ambulante Gruppen-Therapien
In vielen Städten und Regionen gibt es Angebote für eine ambulante Tinnitus-Retraining-Therapie („nach ADANO-Richtlinien“), die heute auch als „Tinnitus-Bewältigungs-Therapie“ firmiert. Manchmal ist auch schlicht von einer „Tinnitus-spezifischen / Tinnitus-zentrierten Kognitiven Verhaltenstherapie“ die Rede.
In allen Fällen handelt es sich um kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientierte Gruppentherapien im Umfang von sechs bis zwölf wöchentlichen Sitzungen. Diese werden von niedergelassenen Psychotherapeuten abgehalten, die meist mit HNO-Ärzten (für die vorherige Abklärung körperlicher Ursachen) und Hörakustikern (für eine etwaige Versorgung mit Hörgeräten oder Tinnitus-Noisern) kooperieren.
Obwohl die hohe Wirksamkeit dieser ambulanten Gruppentherapien durch Studien seit Langem ganz eindeutig erwiesen ist, verweigert die Gesetzliche Krankenversicherung bislang die Übernahme der Kosten. Das ist absolut skandalös – zumal vergleichbare Therapien in Tinnitus-Kliniken (mit viel höheren Kosten) von den Kassen ja übernommen werden. Die als Privatzahler zu tragenden Kosten für eine Tinnitus-Gruppentherapie belaufen sich je nach Umfang auf rund 400 bis 900 Euro.
3. Selbsthilfe-Programme
Da die Tinnitus-spezifische Kognitive Verhaltenstherapie wie auch die Tinnitus-Retraining-Therapie ohnehin in erster Linie „Hilfe zur Selbsthilfe“ leisten, sind entsprechende Selbsthilfe-Programme eine sinnvolle Alternative.
Die hohe Wirksamkeit von Tinnitus-Therapien in Form reiner Selbsthilfe-Angebote (zum Beispiel Internet- oder App-basiert) ist durch Studien auch klar belegt.
Empfehlenswert sind hier vor allem die Smartphone-App „Kalmeda“ (die als „digitale Gesundheitsanwendung“ auf Rezept von der GKV gezahlt wird) sowie das Selbsthilfe-Programm von TinnitusHeilen.de.
Beide Programme machen wesentliche Maßnahmen, die sich in der klinischen und ambulanten Tinnitus-Therapie als erfolgreich erwiesen haben, niedrigschwellig und ohne lange Wartezeiten sofort umsetzbar.
4. Niedergelassene Psychotherapeuten
Für eine individuelle Einzeltherapie, die Ihre ganz persönliche Situation samt etwaiger Begleitbeschwerden (Depression, Angstzustände, Schlafstörungen, tiefere seelische Konflikte etc.) berücksichtigt, wenden Sie sich an niedergelassene psychologische Psychotheapeuten, Heilpraktiker für Psychotherapie oder Ärzte für Psychotherapie bzw. psychotherapeutische Medizin.
In jeder Region, auch in Ihrer, gibt es zahlreiche Behandler, die mit dem Ansatz der Kognitiven Verhaltenstherapie arbeiten.
Zur ersten Orientierung empfehlen wir Ihnen das Portal Therapie.de. Zur Eingrenzung der Suchergebnisse wählen Sie dort als Therapieverfahren „Verhaltenstherapie“ und als freien Suchbegriff „Tinnitus“.
Beachten Sie dabei: Nur ein Teil der psychologischen Psychotherapeuten verfügt über eine Kassenzulassung, sodass die die Behandlung von der GKV übernommen wird (was i.d.R. zugleich bedeutet: lange Wartezeiten). Die übrigen Behandler richten sich an Privatpatienten bzw. Selbstzahler.
Leider sind wirkliche Tinnitus-Experten unter den niedergelassenen Psychotherapeuten eine Seltenheit. Und längst nicht alle, die das Stichwort „Tinnitus“ aufführen, verfügen über ein tieferes Verständnis der Besonderheiten dieser Problematik und befinden sich mit ihrer Herangehensweise auf dem aktuellen Stand.
Allerdings: Gute Psychotherapeuten, die „nur“ in der Behandlung von Depressionen, Ängsten, Stress oder Burnout erfahren sind, können auch bei einem Tinnitus-Leiden eine große Hilfe sein, ggf. ergänzend zu spezialisierten Selbsthilfe-Programmen (s.o.). Das gilt auch für Psychotherapeuten, die mit der Behandlung von chronischen Schmerzpatienten vertraut sind, da es hier viele Parallelen gibt.
Da Psychotherapeuten mit Kassenzulassung praktisch immer „überlaufen“ sind, tragen sich viele gar nicht in das Portal Therapie.de ein. Eine vollständige (wesentlich größere) Auswahl dieser Therapeuten in Ihrer Stadt oder Region finden Sie auf der Website der Kassenärztlichen Vereinigung ihres Bundeslandes. (Googeln Sie dafür einfach nach „KV [Ihr Bundesland] Psychotherapeuten-Suche“).
Sie haben die Wahl
Die verschiedenen Möglichkeiten schließen sich natürlich keineswegs aus, sondern können sich sehr gut ergänzen.
Wenn zum Beispiel zu einem Tinnitus-Leiden eine Depression, Angsterkrankung oder andere große psychische Belastung kommt, sollte sich an die Behandlung in einer Tinnitus-Klinik in der Regel eine längere ambulante Psychotherapie in Wohnortnähe anschließen.
Selbsthilfe-Programme wiederum können ambulante oder klinische Therapien in vielen Fällen überflüssig machen, in jedem Fall ergänzen oder vertiefen – oder auch eine große Hilfe während langer Wartezeiten sein.
Fazit
Ein störendes Ohrgeräusch kann extrem belastend sein und einem – vorübergehend – das ganze Leben trüben. Die Rückkehr zu einem vom Tinnitus unbelasteten Leben ist aber auf jeden Fall möglich. Das Geräusch muss dafür gar nicht verschwinden. Wenn es Ihnen egal wird und Sie es in Ihrem Alltag einfach überhören, ist das praktisch genauso gut.
Die Kognitive Verhaltenstherapie ist DER erfolgreiche Ausweg aus dem Tinnitus-Leiden, international bewährt und wissenschaftlich abgesichert.
Natürlich steht es jedem Tinnitus-Betroffenen frei, stattdessen lieber all das fortzusetzen, was nicht funktioniert und das Leiden nur weiter nährt.
Wer aber bereit ist, sich auf den Weg der Kognitiven Verhaltenstherapie bei Tinnitus einzulassen, aktiv und mit ein wenig Konsequenz an der eigenen Genesung mitzuwirken, wird dafür wahrscheinlich reich belohnt.