Wer von Ohrgeräuschen geplagt ist, kann mittlerweile auf mehrere Ansätze einer Musiktherapie zurückgreifen: die Neuro-Musiktherapie („Heidelberger Modell“), die Tinnituszentrierte Musiktherapie nach Annette Cramer und die Therapie mit frequenzgefilterter Musik („Tinnitracks“).
Alle Ansätze zielen auf Veränderungen der zentralen Hörverarbeitung im Gehirn. In der Methodik gibt es aber riesige Unterschiede. Wir vergleichen für Sie Wirkungsweise und Heilungschancen.
Alle Musiktherapie-Ansätze bauen auf der fundamentalen neurowissenschaftlichen Erkenntnis auf, dass der Tinnitus keineswegs im Ohr entsteht, sondern am anderen Ende der Hörbahn: im auditiven Cortex des Gehirns, auch Hörzentrum genannt. Dort wird er auch bewusst wahrgenommen.
Dem Tinnitus richtig begegnen
Vom Hörzentrum aus ist die Tinnitus-Wahrnehmung auch verknüpft mit unserem Gefühlszentrum, das den Tinnitus unter Umständen als Bedrohung einstuft, und dem autonomen Nervensystem, das auf jede vermeintliche Bedrohung mit Anspannung und einem „Kampf-oder-Flucht-Reflex“ reagiert. Über diese Verbindungen wird ein Tinnitus erst zum Leiden.
Das muss aber nicht sein! Wird der Tinnitus nämlich nicht als Gefahr interpretiert, sondern als belangloser Reiz, kann er ebenfalls dort, im Hörzentrum, auch herausgefiltert werden. Sie würden ihn dann nicht bewusst wahrnehmen, also „überhören“, wie den allergrößten Teil der übrigen Hörinformationen auch.
Genau das geschieht bei mehr als der Hälfte der Tinnitus-Betroffenen übrigens ganz von selbst, sogar ohne jede Behandlung oder Therapie: Der Tinnitus wird entweder von Anfang an einfach „ignoriert“ oder durch den natürlichen Prozess der Gewöhnung („Habituation“) sehr schnell von etwas Unbekannten, potenziell Gefährlichem zu etwas Unwichtigem, das nicht beachtet werden braucht. Dann verschwindet ein Ohrgeräusch oft auch ganz.
Wenn sich ein Tinnitus aber zu einem Leiden entwickelt, entsteht ein verhängnisvoller Teufelskreis: Die Einordnung des Tinnitus als Stör- und Stressfaktor, die negative körperliche und psychische Reaktion und die Aufmerksamkeit für das Ohrgeräusch halten sich dann unentwegt wechselseitig aufrecht – oder schaukeln sich sogar immer weiter auf.
Welche Therapie ist sinnvoll?
Diese verhängnisvolle Spirale zu stoppen und umzukehren, ist heute das Geheimnis jeder erfolgreichen Tinnitus-Therapie – allen voran der Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT), die seit Mitte 2018 endlich auch in Form eines einfachen Selbsthilfeprogramms verfügbar ist.
Auch die Musiktherapie, die auf eine Jahrtausende lange Geschichte zurückblickt, bezieht die bei der Entwicklung der TRT gewonnen Erkenntnisse heute ein. Die drei wichtigsten Ansätze einer Tinnitus-Musiktherapie stellen wir Ihnen hier ausführlich vor:
- Neuro-Musiktherapie („Heidelberger Modell“)
- Tinnituszentrierte Musiktherapie (nach Annette Cramer)
- Therapie mit frequenzgefilterter Musik („Tinnitracks“)
Um es vorwegzunehmen: Die Reihenfolge, in der wir die drei Ansätze vorstellen, richtet sich nach deren Sinnhaftigkeit. Die Behandlung mit der App Tinnitracks ist also nach unserer Einschätzung die am wenigsten aussichtsreiche.
Während die ersten beiden Varianten auf ähnliche, ganzheitliche Weise Aufklärungsgespräche mit Hör-, Aufmerksamkeits- und Entspannungsübungen kombinieren, verfolgt die frequenzgefilterte Musiktherapie einen grundverschiedenen Ansatz.
Alle Musiktherapie-Arten machen sich aber – wie auch die Tinnitus-Retraining-Therapie – die sogenannte Plastizität des Gehirns zunutze: die fundamentale, immerwährende Fähigkeit, neuronale Verbindungen und sogar ganze Hirnregionen neu zu organisieren.
Diese Plastizität ist die Grundvoraussetzung für sämtliche kleinen und großen Lern- und Anpassungsprozesse, die wir Zeit unseres Lebens vollbringen. In diesem Fall zu unserem Schaden, bei der Ausbildung eines Tinnitus-Leidens, oder zu unserem Nutzen, bei der Heilung dieses Leidens.
Neuro-Musiktherapie („Heidelberger Modell“)
Die Neuro-Musiktherapie wurde in Heidelberg, am Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung (DZM) entwickelt. Vor allem dort, in der sogenannten Tinnitusambulanz, wird sie auch durchgeführt. Im Kern handelt es sich eine Mischung aus psychosozialer Beratung (Counseling), Musik- und Hörtherapie sowie Entspannungstraining.
Bei einer Voruntersuchung wird zunächst geklärt, ob die Therapie in Frage kommt. Die eigentliche Therapie erfolgt später kompakt innerhalb von fünf Tagen (Montag bis Freitag), mit je zwei einstündigen Übungseinheiten. Anschließend sollen die erlernten Hör- und Entspannungübungen mindestens drei Monate lang täglich weitergeführt werden.
Voraussetzung für die Therapie ist, dass es sich beim Tinnitus um ein weitgehend konstantes Pfeifen, Piepen oder Rauschen handelt. Nicht teilnehmen darf, wer an einer ausgeprägten Geräuschüberempfindlichkeit (Hyperakusis) oder psychischen Erkrankung (Depression etc.) leidet.
Dies sind die wesentlichen Elemente der Kompakttherapiewoche:
- In einer Aufklärungssitzung werden zunächst die Mechanismen der Entstehung, Aufrechterhaltung und Verstärkung eines Tinnitus erläutert. Dabei geht es auch darum, einen Perspektivenwechsel einzuleiten und die negative Fixierung auf das Ohrgeräusch und das eigene Belästigt-Sein aufzubrechen. Der Impuls, den Tinnitus bekämpfen oder „weghören“ zu wollen, soll einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Phänomen weichen.
- Ein Kernstück der Neuro-Musiktherapie ist die Resonanzübung, bei der man lernt, seinen zuvor ermittelten Tinnitus zu „singen“ beziehungsweise mit seiner Stimme nachzuahmen – eingebettet in den voluminösen Klangteppich eines Gongs. Auf diese Weise kann der Tinnitus aktiv überdeckt (maskiert) und zugleich „nach außen getragen“ werden.
- Anhand von Hör- und Aufmerksamkeitsübungenlernt der Teilnehmer mit Hilfe von bestimmten Musikstücken und dem Einsatz der eigenen Stimme, seine auditive Aufmerksamkeit zu beeinflussen und zu steuern.
- Bei einem musiktherapeutischen Entspannungstraining wird mit einer angenehmen Klangumgebung an das erinnerte Wohlbefinden angeknüpft. Indem positive Assoziationen geweckt werden, kann sich die Wahrnehmung des Tinnitus verändern. Und wenn der Stresspegel sinkt, wird der Tinnitus leiser wahrgenommen.
Sämtliche Module der Neuro-Musiktherapie zielen direkt oder indirekt darauf, einen positiven Gewöhnungsprozess in Gang zu setzen. Dabei geht es aber nicht um eine Gewöhnung an das Leiden, wie das Heidelberger Therapiezentrum mit seiner Devise „Heilung statt Bewältigung“ unterstreicht.
Der Vorgang der Gewöhnung (Habituation) führt vielmehr dazu, dass der Tinnitus seinen bedrohlichen, stressauslösenden Charakter verliert. So schwinden die negativen körperlichen und psychischen Reaktionen auf den Tinnitus sowie die Aufmerksamkeit für das Geräusch – und damit das Leiden.
In einer größeren klinischen Studie aus dem Jahr 2015 führte die Neuro-Musiktherapie bei 66 Prozent der Probanden mit chronischen Tinnitus zu einer nennenswerten Verbesserung.
Interessanterweise untersuchte die gleiche Studie auch eine Vergleichsgruppe, die ausschließlich ein 50-minütiges Aufklärungsgespräch erhielt, nicht aber die anschließende einwöchige Musiktherapie. Das Ergebnis: Allein das kurze Counseling führte bei immerhin 33 Prozent der Teilnehmer zu einer deutlichen Verbesserung.
„Man muss klar sagen, dass nicht die Musiktherapie allein, sondern das Paket aus Musiktherapie, Stressmanagement und Counseling wirksam ist“, resümierte der HNO-Arzt Gerhard Hesse von der Tinnitus-Klinik Bad Arolsen in einem „Spiegel“-Artikel über die Neuro-Musiktherapie.
Welchen Anteil die musiktherapeutischen Übungen wie das „Tinnitus-Singen“ haben, ist also unklar.
Bemerkenswert am Heidelberger Modell ist, dass offenbar bereits innerhalb der kurzen Zeit der Kompakttherapiewoche in vielen Fällen eine spürbare Verbesserung erreicht werden kann. Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnitus-Forschungszentrums der Charité in Berlin, bemängelte im „Spiegel“ allerdings die Qualität der bisherigen (vom Heidelberger Zentrum selbst durchgeführten) Studien.
In Kooperation mit der Saar-Universität in Homburg konnte anhand von Messungen mit dem Magnetresonanz-Tomographen auf jeden Fall eindeutig nachgewiesen werden, dass im Rahmen der Neuro-Musiktherapie im Hörzentrum des Gehirns tatsächlich sichtbare Veränderungen stattfinden.
Verwunderlich ist das freilich nicht, denn im Rahmen der eingangs erwähnten Plastizität des Gehirns schlagen sich so gravierende Vorgänge wie die Ausbildung eines Tinnitus-Leidens beziehungsweise dessen Linderung oder Heilung selbstverständlich auf der Ebene der Neuronen auch physisch nieder. Der Nachweis mit modernstem Gerät mag also auf Unbedarfte faszinierend wirken, ist aber letztlich völlig trivial.
Insgesamt kostet die Neuro-Musiktherapie in Heidelberg rund 1200 Euro (zuzüglich etwaiger Reise- und Unterkuftskosten). Einige Krankenkassen beteiligen sich an den Kosten, dies ist in jedem Einzelfall zu klären. Die Wartezeit für die Voruntersuchung beträgt derzeit etwa drei Monate.
Unser Fazit
Die Neuro-Musiktherapie ist ein beachtenswerter Ansatz, der im Prinzip auf den gleichen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und ähnlich wirkt wie die Tinnitus-Retraining-Therapie. So werden in beiden Ansätzen durch eine umfangreiche Aufklärung Ängste abgebaut, woraufhin im Rahmen einer Klangtherapie der Tinnitus von den negativen körperlichen und psychischen Reaktionen „entkoppelt“ wird. Der Tinnitus wird so tendenziell von einem erheblichen „Ärgernis“ zu einem unwichtigen Reiz, der überhört werden kann.
Angesichts der vorliegenden Studien besteht eine realistische Chance zumindest auf eine Linderung. Damit darf die Neuro-Musiktherapie durchaus als mögliche Alternative oder Ergänzung zum Tinnitus-Retraining in Betracht gezogen werden.
Tinnituszentrierte Musiktherapie (nach Annette Cramer)
Die Münchner Musikpsychologin und Hörtherapeutin Annette Cramer entwickelte Ende der 90er Jahre die „Tinnituszentrierte Musiktherapie“ (TIM). Im Mittelpunkt dieses Ansatzes stehen spezielle Hörübungen mit Geräuschen, Klang und Musik, die auf eine Aufmerksamkeitsumlenkung und Entspannung zielen.
Hauptziel der TIM ist, dass der Betroffene den Tinnitus zu überhören lernt und zudem seine durch den Tinnitus getrübte Freude am Hören zurückerlangt. In einer „Hörberatung“ hilft der Therapeut daher zunächst dabei, die eigenen Hörgewohnheiten und „Hörbedürfnisse“ zu erkennen und den Tinnitus einzuordnen.
Daran knüpft eine umfangreiche Hörtherapie an, die das konzentrierte, bewusste Hören fördern und die Hörwahrnehmung verbessern kann. Durch Hörübungen mit interessanten Geräuschen, verschiedenen Klängen und schließlich auch Musik soll der Betroffene lernen, seine Aufmerksamkeit gezielt nach außen zu richten, sodass der Tinnitus in den Hintergrund tritt. Cramer spricht auch von einer „Innenohr-Gymnastik“ mit dem Ziel, einen „fühlbaren Kontakt zum unerreichbaren Organ Innenohr“ aufzubauen.
Weitere Komponente der Therapie ist das Erlernen einer „musikunterstützten Tiefenentspannung“. Indem ein angenehmes Musikstück oft genug gehört wird, soll man sich, wie Cramer es ausdrückt, „seine eigene Kopfmusik als Gegenprogramm zum Tinnitus schaffen und sich auf Entspannung konditionieren“.
Außerdem will die Therapie Klang auch körperlich erfahrbar machen. Dazu werden zum Beispiel Instrumente wie Klangschalen direkt auf den Körper gelegt und gespielt.
Für das eigenständige Üben zuhause werden individuelle CDs zusammengestellt. Dabei werden die Frequenzen verstärkt, die dem Tinnitus entsprechen. Das individuelle Tinnitus-Geräusch kann der Musik auch – näherungsweise nachgebildet – leise zugemischt werden.
Und zwar so leise, wie der eigene Tinnitus objektiv wäre, würde er nicht im Hörzentrum des Gehirns fälschlicherweise als „sehr laut“ eingeordnet. Durch das längere Hören der so bearbeiteten Musik soll das Hörzentrum nun lernen: „Der Tinnitus ist leise!“
Frau Cramer hat ihren speziellen musiktherapeutischen Ansatz auch in einem Selbsthilfe-Buch vorgestellt, das seit dem Erscheinen 2002 mehrfach neu aufgelegt worden ist. Aus den auf zwei CDs beigefügten kurzen Klängen (u.a. Verkehrsgeräusche, Vögel und klassische Musik) lässt sich individuell ein Trainingsprogramm für „Innenohr-Gymnastik“ und Tiefenentspannung zusammenstellen.
Die Hör- und Entspannungsübungen sind sicher nicht Jedermanns Sache. Wer dafür offen ist, dem kann das Buch aber durchaus wertvolle Impulse geben.
Pauschale Quasi-Heilungsversprechen wie „Schon nach 3 Wochen nehmen Sie den Tinnitus einfach nicht mehr wahr“, mit dem das Buch wirbt, sind leider völlig unseriös und mit diesem Ansatz kaum einzulösen. Cramer selbst gibt die „Erfolgsquote“ einer Verbesserung mit 80 Prozent an. Eine unabhängige wissenschaftliche Studie zur Wirksamkeit der TIM gibt es aber nicht.
Unser Fazit
Die Tinnituszentrierte Musiktherapie ist ein durchaus sinnvoller Ansatz, der ebenso wie die Neuro-Musiktherapie gewisse Schnittmengen mit der erfolgreichen Tinnitus-Retraining-Therapie aufweist. Mit den Elementen „Hörberatung“ (Counseling), Aufmerksamkeitsumlenkung und Entspannung setzt die TIM bei zentralen Aspekten eines Tinnitus-Leidens an: Angst, Aufmerksamkeit für das Ohrgeräusch und Stress.
Das weltweit bewährte Tinnitus-Retraining ist wissenschaftlich wesentlich fundierter und zudem einfacher in der Anwendung, sodass es einen größeren Kreis von Betroffenen ansprechen dürfte. Übungen aus der Tinnituszentrierten Musiktherapie könnten aber gut ergänzend zum Einsatz kommen.
Frequenzgefilterte Musiktherapie („Tinnitracks“)
Diese Variante einer Tinnitus-Musiktherapie ist vor allem durch die mit einigem PR-Aufwand beworbene Smartphone-App „Tinnitracks“ bekannt geworden. Die Methodik ist die mit Abstand einfachste der hier vorgestellten Ansätze: Sie besteht schlicht im Hören selbst ausgesuchter Musik, aus der die App ein schmales Frequenzband herausfiltert, das dem eigenen Tinnitus entspricht.
Ist der Tinnitus zum Beispiel ein mittelhohes Pfeifen zwischen 4500 bis 5500 Hertz, würde dieses Frequenzband mit einem aus der Musik komplett „herausgeschnitten“.
Dieser Behandlungsansatz basiert hauptsächlich auf neurowissenschaftlichen Studien der Universität Münster. Forscher am Institut für Biosignalanalyse der dortigen medizinischen Fakultät fanden nämlich heraus, dass das Hören frequenzgefilterter Musik die Aktivität derjenigen Nervenzellen im Hörzentrum hemmt, die für das fehlende Frequenzband zuständig sind.
Weil im Frequenzbereich des Tinnitusgeräusches eine neuronale Überaktivität vorliegt, kann eine Hemmung dieser Aktivität die Lautheit des Tinnitus und damit die Belastung durch das Ohrgeräusch mindern. Eine kleine kontrollierte Studie der Universität Münster aus dem Jahr 2010 deutet tatsächlich auf eine Wirksamkeit dieses Ansatzes hin:
Acht Probanden mit chronischem Tinnitus hörten dabei ein Jahr lang frequenzgefilterte Musik, die sie sich selbst aussuchen konnten, und zwar täglich etwa zwei Stunden lang. Die meisten Probanden verspürten nach diesem Jahr eine verringerte Lautheit ihres Tinnitus, im Schnitt allerdings nur um 25 Prozent. In einer Kontrollgruppe von ebenfalls acht Probanden, die eine ungefilterte beziehungsweise falsch gefilterte Musik gehört hatten, zeigte sich eine solche Verbesserung nicht.
Die Aussagekraft dieser an sich hochseriösen Studie ist leider angesichts der geringen Zahl von Teilnehmern sehr begrenzt. Und spektakulär sind die Ergebnisse sicherlich nicht.
Mit der App Tinnitracks kann diese Form der Musiktherapie nun aber seit dem Jahr 2015 recht einfach durchgeführt werden. Voraussetzung ist, dass ein schmalbandiger „tonaler Tinnitus“ (Piepen, Pfeifen, Summen) vorliegt, nicht etwa ein eher breitbandiges Rauschen. Zur effektiven Anwendung ist zwingend eine sehr exakte Bestimmung der mittleren Tinnitusfrequenz durch einen HNO-Arzt oder Hörgeräteakustiker erforderlich. Der Tinnitus soll außerdem seit mindestens drei Monaten bestehen.
Anhand der Tinnitusfrequenz analysiert die App schließlich jedes ausgesuchte Lieblings-Musikstück auf seine Eignung. Vor allem muss die Musik ein hohes Maß auditiver Energie rund um die Tinnitusfrequenz aufweisen – was oft nicht der Fall ist, wenn das Ohrgeräusch recht hochfrequent ist. Moderner Rock oder Pop ist generell besser geeignet als Jazz oder klassische Musik.
Die frequenzgefilterte Musik soll dann mindestens 90 Minuten täglich über geschlossene Kopfhörer in ruhiger Umgebung gehört werden. Diese Zeit kann auch auf mehrere kürzere Einheiten aufgeteilt werden. Empfohlen wird eine Anwendungsdauer von mindestens vier bis sechs Monaten. Nach Angaben der Sonormed GmbH, die Tinnitracks vermarktet, kann es aber bis zu einem Jahr dauern, bis eine Wirkung bemerkbar ist.
Für Versicherte der Techniker Krankenkasse gibt es Tinnitracks (für Android oder iOS) im Rahmen eines Pilotversuches auf Rezept. Dies schließt auch regelmäßige Kontrolltermine beim HNO-Arzt ein, der etwaige Veränderungen des Tinnitus überprüft. Auch die Gothaer Krankenversicherung und die Privatkasse AXA übernehmen die Kosten. Ansonsten kostet die Nutzung der App monatlich 20 Euro, zuzüglich der Aufwendungen für die Frequenzbestimmung.
Unser Fazit
Die frequenzgefilterte Musiktherapie ist prinzipiell ein interessanter Ansatz, der dort ansetzt, wo der Tinnitus entsteht: im Hörzentrum des Gehirns. Die Heilungswirkung scheint allerdings äußerst begrenzt zu sein. Fraglich ist, ob sich der recht große Aufwand angesichts der relativ geringen Linderungsaussichten lohnt.
Bei seriösen Ärzten ist die App Tinnitracks längst in Verruf geraten. Krankenkassen wie die TK böten Ihren Versicherten die sinnlose App an, um Kosten für wirklich sinnvolle Behandlungen zu sparen, lautet der Vorwurf. Lesen Sie mehr dazu in diesem Artikel.
So weit unser Überblick über die wichtigsten Ansätze einer Musiktherapie bei Tinnitus.
Gewusst, wie!
Falls Sie Ihre Tinnitus-Heilung ganz systematisch angehen wollen, sei Ihnen Das Große Tinnitus-Heilbuch ans Herz gelegt. Es bündelt die erwiesenermaßen wirksamsten Heilungsstrategien zu einem optimalen Selbsthilfe-Programm.
Mit den besten Wünschen
JS
Quellen (Auszug)
- Jastreboff, Pawel / Hazell, Jonathan: Tinnitus Retraining Therapy. Implementing the Neurophysiological Model. Cambridge University Press, 2008
- Deutsches Zentrum für Musiktherapieforschung: Wie wirkt die Neuro-Musiktherapie?
- Argstatter, Heike et al.: The effectiveness of neuro-music therapy according to the Heidelberg model compared to a single session of educational counseling as treatment for tinnitus: A controlled trial. In: Journal of Psychosomatic Research, 3/2015, Volume 78, S. 285-292
- Spektrum der Wissenschaft: Musiktherapie hilft, störende Ohrgeräusche wegzusummen (3/2015)
- Der Spiegel: Nutzen der Neuro-Musiktherapie umstritten (2013)
- Argstatter, Heike et al.: „Heidelberg Neuro-Music Therapy“ for chronic-tonal tinnitus – treatment outline and psychometric evaluation. In: International Tinnitus Journal 17(1), 2013, S. 31-41
- Cramer, Annette: Tinnitus: Wirksame Selbsthilfe mit Musiktherapie (2018)
- Cramer, Annette: Musiktherapie bei Tinnitus
- Brauns, Manfred: Tinnituszentrierte Musiktherapie
- Okamoto, H. et al.: Listening to tailor-made notched music reduces tinnitus loudness and tinnitus-related auditory cortex activity. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 107 (3), 2010, S. 1207–1210
- Pantev, C et al.: Music-induced cortical plasticity and lateral inhibition in the human auditory cortex as foundations for tonal tinnitus treatment. In: Frontiers in Systems Neuroscience, 6/2012
- Sonormed GmbH / Tinnitracks.com
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