Wenn sich ein Ohrgeräusch eingestellt hat, Ihnen vielleicht gar den letzten Nerv raubt, dann stellt sich die Frage: Soll ich weiter zur Arbeit gehen oder mich vom Hausarzt oder HNO-Arzt krankschreiben lassen?
Wie Sie sich entscheiden, kann Ihrer Genesung einen großen Schwung geben – oder aber Ihre Situation auf verhängnisvolle Weise verschlimmern. Damit Sie das Richtige tun, wäge ich hier die Vorzüge und Risiken einer Krankschreibung für Sie ab.
Für den Fall, dass Sie dann wegen des Tinnitus lieber daheim bleiben, gebe ich Ihnen schließlich noch einige sehr wichtige Verhaltensregeln an die Hand, die Ihre Genesung fördern.
Trotz Ohrgeräusch weiter arbeiten gehen?
Ein „business as usual“ ist oft schwer möglich, wenn der Tinnitus einem zu schaffen macht. Das seltsame Geräusch beunruhigt oder besorgt Sie vermutlich. Vielleicht lässt es Sie schlecht schlafen. Wahrscheinlich fällt es Ihnen schwer, sich zu konzentrieren. Womöglich beeinträchtigt Ihr Zustand auch den Umgang mit Kunden, Kollegen oder Vorgesetzten.
Sich nun für ein paar Tage oder Wochen vom Arzt arbeitsunfähig schreiben zu lassen, scheint da eine Menge Sinn zu machen. Sehen wir uns also erst einmal an, was für eine kleine Auszeit vom Job spricht.
Nutzen einer Krankschreibung bei Tinnitus
Falls Ihr Tinnitus offensichtlich durch eine akute Erkrankung – zum Beispiel eine Infektion im Hals-, Nasen-, Ohrenbereich – oder einen Hörsturz ausgelöst wurde, sollte es für Sie höchste Priorität haben, diese Erkrankung gut zu behandeln und schnellstmöglich auszukurieren. In diesem Fall sollten Sie sich die gebotene Ruhepause nehmen.
Ganz eindeutig liegt eine Arbeitsunfähigkeit vor, wenn man durch ein Weiterarbeiten sich selbst oder andere Menschen in Gefahr bringen würde. Zum Beispiel ist es sicher keine gute Idee, als Busfahrer oder Chirurg zu arbeiten, wenn man aufgrund der Tinnitus-Belastung in der letzten Nacht kein Auge zugetan hat und überhaupt nicht bei der Sache ist.
Ein besonders gutes Argument für einen Krankenschein – nicht für jeden Arzt, aber doch für Sie – wäre auch, wenn Ihre Arbeit Sie auf belastende Weise stark stresst oder Ihnen zu schaffen macht.
Denn Stress – in seinen vielen negativen Formen – spielt bei der Entstehung eines Ohrgeräusches in den meisten Fällen eine große Rolle. Wie Neurowissenschaftler heute wissen, kann Stress sogar ganz allein einen Tinnitus auslösen, ohne dass es einer Störung des Hörens bedarf.
Und sobald das Ohrgeräusch erst einmal da ist, gedeiht es innerhalb eines alarmierten, überreizten Nervensystems. Dagegen verbessert jede Art spürbarer Entspannung – gleich, ob körperlich, geistig oder seelisch – die Chancen, dass der Tinnitus wieder abklingt.
Falls Ihre Arbeit also sehr belastend ist, Sie überfordert oder auf unangenehme Weise unter Druck setzt, oder wenn Sie unter Ihren Arbeitsbedingungen leiden, dann kann dies einer Heilung erheblich im Wege stehen.
Sich hier durch einen Krankenschein eine Atempause zu verschaffen und zur Ruhe zu kommen, könnte Ihnen dann sehr guttun und helfen, den Tinnitus zum Verstummen zu bringen.
Obendrein könnte eine Krankschreibung Ihnen reichlich Zeit verschaffen, um wegen Ihres Tinnitus verschiedene Ärzte oder Heilpraktiker zu konsultieren und diverse vielversprechende (oder besser: „viel versprechende“) Behandlungen und Therapien in Angriff zu nehmen.
Da es ja häufig heißt, dass ein Tinnitus entweder während der ersten Wochen oder Monate verschwindet oder gar nicht: Würden Sie es nicht bereuen, wenn Sie nicht umgehend alles Mögliche täten? – Nun, unglücklicherweise ist dieser scheinbar logische Impuls allzu oft Ausgangspunkt einer tragischen Entwicklung.
Gefahren einer Krankschreibung wegen Tinnitus
Und damit sind wir auch schon bei dem einen, äußerst gewichtigen Argument gegen eine Krankschreibung: Sie gäbe Ihnen alle Zeit der Welt, sich mit Ihrem Tinnitus zu beschäftigen und dem störenden Geräusch Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen!
Vom Augenblick des Aufwachens bis zu dem Moment, in dem Sie endlich einschlafen, könnten Sie den gesamten Tag damit verbringen, unablässig die Stärke des Ohrgeräuschs zu prüfen, über mögliche Ursachen des Tinnitus nachzugrübeln, sich jeder Menge Angstmacherei und Desinformation im Internet auszusetzen, sich wegen allerhand möglicher Szenarien Sorgen zu machen und von einer Behandlung zur nächsten zu „hüpfen“.
Leider entwickelt sich ein Tinnitus genau auf diese Weise immer wieder von einem anfänglich seltsamen, vielleicht etwas lästigen Ärgernis zu einem riesigen, alles verdunkelnden „Ungeheuer“. Warum das so ist, kann die Forschung auch längst genau erklären:
Der Tinnitus wird nach neurowissenschaftlichen Erkenntnissen im Hörzentrum des Gehirns durch Rückkopplungen aufrechterhalten und verfestigt, die sich vor allem aus der Aufmerksamkeit für den Tinnitus und aus der inneren „Stressreaktion“ auf den Tinnitus speisen.
Im Klartext heißt das:
Je mehr Sie auf Ihren Tinnitus fokussieren und je gestresster Sie körperlich, emotional und geistig sind (Anspannung, Beunruhigung, Angst, Sorgen etc.), desto eher setzt sich der Tinnitus fest.
Und: Je mehr Sie auf den Tinnitus fokussieren und je gestresster Sie sind, desto mehr stört Sie das Geräusch auch, desto lauter erscheint es, desto mehr leiden Sie darunter. Das bedeutet dann: noch mehr Aufmerksamkeit für das Geräusch und noch mehr Stress.
Nach diesem ganz einfachen Mechanismus entwickelt sich dann häufig schnell ein verzwickter Teufelskreis – und ein dauerhaftes (oder zumindest länger anhaltendes) Tinnitus-Leiden.
Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn Sie sichergehen wollen, dass der Tinnitus bestehen bleibt und zu einem noch größeren Problem wird, dann brauchen Sie nichts weiter zu tun, als in Ihrem stillen Zuhause zu sitzen, den ganzen Tag dem Pfeifen, Piepen, Rauschen oder Brummen in Ihrem Kopf zuzuhören und innerlich dagegen anzukämpfen.
Das ist schlicht und einfach das Schlimmste, was Sie momentan tun können.
Wenn Sie sich also aus einem der oben genannten guten Gründe für eine Krankschreibung entscheiden, vermeiden Sie bitte unbedingt die besagte, verhängnisvollen Negativspirale.
Das Richtige Tun: Ablenkung und Entspannung
Je weniger Sie den Tinnitus beachten und je besser Sie sich körperlich, gefühlsmäßig und geistig entspannen, desto besser stehen Ihre Chancen, dass das Geräusch wieder abklingt.
Man betreibt eine Tinnitus-Heilung gerade nicht, indem man sich mit nichts anderem als dem Tinnitus beschäftigt, sondern indem man ganz gezielt wenige richtige Maßnahmen ergreift. Und diese Maßnahmen zielen gerade darauf, die Aufmerksamkeit für den Tinntius zu minimieren und den Stresspegel zu senken.
Jenseits einer gründlichen ärztlichen Diagnose und – falls nötig oder möglich – medizinischen Behandlung:
Meiden Sie unbedingt Stille: Verschaffen Sie sich so viel akustische Ablenkung wie möglich. Am besten, indem Sie schöne Musik oder spezielle therapeutische Klänge zur Tinnitus-Behandlung wie diese hören. Dies ist eine der einfachsten und wirkungsvollsten Maßnahmen.
Lenken Sie sich in den nächsten Wochen so viel wie möglich ab, sodass möglichst wenig Aufmerksamkeit für den Tinnitus bleibt. Ziehen Sie sich nicht zurück, sondern seien Sie aktiv. Tun Sie sich Gutes und suchen Sie Entspannung. Alles Angenehme, Gesellige, Wohltuende ist gut.
Wenn Ihnen dies möglich ist, unternehmen Sie Spaziergänge durch die Natur, und sei es der nächste Park. Falls das Meer, ein plätschernder Bach oder ein Wald mit zwitschernden Vögeln in der Nähe ist, verbringen Sie dort einige Zeit, um „herunterzufahren“.
Machen Sie ein paar sanfte Entspannungsübungen. Nehmen Sie ein Bad, fahren Sie ins Schwimmbad, gönnen Sie sich eine Massage oder gar ein Wellness-Wochenende. Alles, was Sie „raus aus dem Kopf, rein in den Körper“ bringt, wird Ihnen in Bezug auf den Tinnitus helfen.
Arbeitsunfähigkeit bedeutet nicht Hausarrest
Geht das alles aber, wenn Sie krankgeschrieben sind? – Grundsätzlich ja, denn rechtlich sieht es so aus:
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist keine Anordnung für einen Hausarrest! Nach dem deutschen Arbeitsrecht muss sich ein Arbeitnehmer im Falle einer Krankschreibung so verhalten, dass er möglichst schnell wieder gesund – also arbeitsfähig – wird.
Untersagt ist deshalb nur, was Ihre Genesung verzögert oder behindert. Jede Aktivität, die weder schadet noch nützt, ist grundsätzlich erlaubt. Was man also im Krankenstand tun darf und was nicht, hängt vor allem von der Art der Erkrankung bzw. der Beschwerden ab.
Wenn der Arzt also zum Beispiel bei einem grippalen Infekt strikte Bettruhe empfiehlt, sollte man sich auch daran halten. Andernfalls riskiert man von Arbeitgeber eine Abmahnung oder sogar die Kündigung.
Wenn Ihr Tinnitus aber nicht mit einer solchen akuten Erkrankung einhergeht, wäre es Ihrer Genesung sogar äußerst abträglich, wenn Sie sich im „stillen Kämmerlein“ einschließen würden.
Stattdessen fördert jetzt jede Form der angenehmen Ablenkung und der Entspannung Ihre Heilung. Dazu können auch gesellige Aktivitäten, sanfter Sport, eine schöne Wanderung, Ausflüge ins Grüne, ein Schwimmbadbesuch und vieles andere mehr gehören.
Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen, besprechen Sie dies bitte vorher mit Ihrem Hausarzt oder HNO-Arzt. Um sich gegenüber Ihrem Arbeitgeber abzusichern, können sich vom Arzt als Zusatz zur Krankschreibung formlos eine Liste von Aktivitäten aufschreiben lassen, die in Ihrem Fall ausdrücklich heilungsfördernd oder zumindest unbedenklich wären.
Wenn schon Auszeit, dann richtig
Fassen wir also zusammen: Es gibt in der Tat sehr gute Gründe dafür, sich einen Krankenschein ausstellen zu lassen. Wenn es Ihnen gelingt, die Chancen für sich zu nutzen und die Gefahren zu umschiffen, können Sie von einer kleinen Auszeit von Ihrer Arbeit profitieren.
Ihren Job dagegen weiterzumachen, auch wenn ein nervender Tinnitus Sie dabei vielleicht eine Zeit lang etwas beeinträchtigt. könnte Sie auf sehr förderliche Weise von Ihrem Tinnitus ablenken. Und verhindern, dass das Ohrgeräusch einen noch größeren Raum einnimmt.
Nicht zuletzt wären Sie an Ihrem Arbeitsplatz wahrscheinlich unter Menschen, im besten Fall unter mitfühlenden Kollegen, die sich vielleicht ein wenig um Sie kümmern und Sie aufheitern
Denken Sie also besser zweimal nach. Am Ende kommt es natürlich auf Ihre ganz persönliche Situation (und auch auf die Einschätzung Ihres Arztes) an. Sollten Sie sich für eine Krankschreibung oder Auszeit entscheiden, tun Sie es bitte auf die richtige Weise.
Wenn Sie Ihre Tinnitus-Heilung ganz systematisch angehen wollen, lege ich Ihnen Das Große Tinnitus-Heilbuch ans Herz. Auf dem neuesten Stand von Forschung und Therapie bündelt es die erwiesenermaßen wirksamsten Heilungsstrategien zu einem optimalen Selbsthilfe-Programm.
Ich wünsche Ihnen alles Gute!
JS
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