Einsamkeit, Angst dem Virus, finanzielle Sorgen, wenig Ablenkung: Mit dem verstärkten psychischen Stress im Zuge der Corona-Krise ist auch die Tinnitus-Belastung gestiegen, wie eine Studie der Universität Regensburg ergab. Für manche Betroffene von Ohrgeräuschen war der Lockdown dagegen erholsam.
„Bei der Mehrzahl der Patienten war unter Corona die Tinnitus-Belastung verstärkt“, resümierte Professor Dr. Berthold Langguth im MDR-Magazin „Hauptsache Gesund“, wo er einen ersten Einblick in die (noch nicht offiziell veröffentlichte) Studie gab.
Die Forscher des Tinnituszentrums der Universität Regensburg hatten unter Langguths Leitung in der zweiten Aprilhälfte 112 Betroffene über ihre Tinnitus-Belastung befragt. Die Teilnehmer gaben dabei auch Auskunft über etwaige depressive Symptome, Persönlichkeitsmerkmale sowie über Belastungen durch die Corona-Epidemie und die Beschränkungen während des Lockdowns.
Die Ergebnisse im Überblick
Die meisten Menschen mit Ohrgeräuschen empfanden ihren Tinnitus im April 2020 als deutlich belastender (gegenüber dem gleichen Zeitraum in 2018, als die Studien-Teilnehmer erstmals befragt worden waren).
Die Forscher gehen davon aus, dass das verstärkte Leiden unter den Ohrgeräuschen durch die Corona-Krise bedingt ist. Denn die Betroffenen berichteten zugleich von einer Zunahme an Stress, Nervosität, Angst, Frustration und Traurigkeit durch die Pandemie.
Allerdings ging es nicht allen Studienteilnehmern während des Lockdowns schlechter. „Wir haben auch Menschen gesehen, die im Zusammenhang mit der Corona-Krise entspannter waren“, sagte Langguth, der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie ist.
Diese Menschen hätten die Abnahme der allgemeinen Hektik als sehr hilfreich empfunden. „Und die hatten dann tatsächlich auch eine geringere Belastung durch den Tinnitus.“
Stress und Tinnitus
Die Studie veranschaulicht gut, was fast jede*r Tinnitus-Betroffene schon oft bei sich selbst beobachtet hat:
Unter Stress (also Belastung, Druck, Anspannung, Angst etc.) wird der Tinnitus lauter, aggressiver, störender.
Aber warum ist das eigentlich so?
Trübe Gedanken, Grübeleien, Sorgen und Ängste, aber auch belastende Gefühle wie Hilflosigkeit, Traurigkeit, Ärger oder Wut versetzten unser Nervensystem in den Stress-Modus.
Unser autonomes Nervensystem, das alle unsere Körperfunktionen steuert, spult dann immer ein Programm ab, mit dem wir (und alle anderen Säugetiere) seit Jahrmillionen auf Gefahren reagieren: Unsere Muskeln spannen sich an, der Blutdruck steigt, die Atmung wird flacher – und wir werden hellhöriger.
Für Neurophysiologen ist es eine Binsenweisheit: Bei Stress schraubt unser Hörsystem (also der Teil unseres Gehirns, der für das Hören zuständig ist) seine interne Empfindlichkeit herauf.
Dieser ganz automatisch ablaufende Mechanismus soll uns eigentlich in die Lage versetzen, in Gefahrensituationen auch sehr leise äußere Geräusche wahrnehmen zu können.
Die Crux ist bloß: Durch die erhöhte Empfindlichkeit im Hörsystem werden nicht nur äußere Geräusche verstärkt, sondern auch der intern erzeugte Tinnitus!
Kein Grund zur Sorge
Das Gute daran ist: Das im Hörzentrum des Gehirns funkende Tinnitussignal hat sich gar nicht verändert. Sie nehmen denselben Tinnitus lediglich vorübergehend deutlicher wahr.
Wenn der Tinnitus Ihnen also in letzter Zeit verstärkt zu schaffen gemacht hat, können Sie beruhigt sein. Sofern Sie sich nicht endlos in die verstärkte Tinnitus-Wahrnehmung hineinsteigern, brauche Sie keine Sorge haben, dass diese von Dauer sein wird.
Mit den besten Wünschen
JS
Quelle: https://www.mdr.de/nachrichten/ratgeber/gesundheit/hg-corona-stress-verstaerkt-tinnitus-100.html